Die Kunst von Martin Werthmann (*1982 in Gießen, lebt und arbeitet in Berlin) umfasst zwei große Werkgruppen. Den einen Teil bilden seine auf hohem Reflektionsgrad konstruierten, dabei komplett funktionsfähigen Wundermaschinen, die z.B. Atemluft in Diamanten verwandeln oder die einen überdimensionalen Wasserwirbel antreiben, in dem rund 15.000 Liter Wasser zirkulieren und den Betrachtenden in seiner Mitte ganz schwindelig machen.
Zur zweiten Gruppe zählen überformatige Druckgrafiken, die sich auszeichnen durch ihre abstrakt-schönen Oberflächen mit ihren auf verwirrende Weise kaum fassbaren Strukturen. Den Arbeiten liegen oft zwar konkrete Fotovorlagen zu Grunde, sie werden aber von Werthmann so sehr abstrahiert, das ihr Farbflimmern nur noch schemenhafte Erinnerung weckt – oder sie entstehen allein durch die Schichtung verschiedener Formen in mehreren Arbeitsschritten bis zur völligen Desorientierung. »Teeming patterns propel our eyes into restless motion and our minds into an animated, agitated, delectable state of disorientation«, schrieb die Los Angeles Times 2016 über die Holzschnitte von Martin Werthmann, der derzeit zu den profiliertesten Künstlern zählt, die mit dieser Gattung arbeiten.
Den polychromen, querformatigen Holzdruck Disruption hat der Künstler 2022 exklusiv für das Institut für moderne Kunst aufgelegt. Für die Edition hat Werthmann das Bild einer Explosion aus dem Syrienkrieg mit von Wasser verzerrten Fliesenstrukturen überlagert. Die im Titel benannte Disruption, eine Störung also, erreicht Werthmann durch die siebenfach, bis zur völligen Verfremdung geschichteten Farblagen. Nur diffus und vage schälen sich einzelne Motive aus der Fläche, wobei die vermeintlich identifizierten Strukturen dann doch wieder verschwinden. Die Farben und Formen tanzen flirrend in diesem großformatigen Vexierbild, verflüssigen sich, ohne dass das traumatisierende Ausgangsmotiv konkret greifbar wird. Trotzdem ist die schemenhafte Erinnerung da, verborgen in einem sichtbar verworrenen Netz aus Neuronenverschaltungen. Die ambivalente Kombination aus Wahrnehmung und Erinnerung bahnt Werthmann anschaulich ins Bild. Man spürt förmlich, dass da etwas war, ohne dass man weiß, was ist.